Engelsfurz (a Makk ász német fordítása)
A regényről megjelent kritikák

"Wer nicht gegen uns ist, ist für uns"

István Kerékgyártós Roman "Engelsfurz"
C Die Berliner Literaturkritik, 09.03.07

Gar nicht einfach, das Dauerthema des Erwachsenwerdens: Salinger beschrieb es 1951 in "Der Fänger im Roggen" am Beispiel von Holden Caulfield. Paul Ingendaay widmete sich der fortschreitenden Jugend im vorigen Jahr mit "Warum Du mich verlassen hast". In  beiden Fällen geht es um Rebellionen. Doch ist Rebellion möglich, wenn die bestehenden Verhältnisse kaum bekannt sind?

Diese Frage stellt sich im Fall von Lajos Ballagó. Er ist der pubertierende Held in István Kerékgyártós Roman "Engelsfurz". Wir schreiben das Jahr 1961. Der 13-Jährige lebt irgendwo im Komitat Somogy, im Südwesten Ungarns. Ein Komitat, über dessen einen großen Sohn man zu jener Zeit nicht reden darf: Imre Nagy, den mittlerweile hingerichteten Ministerpräsidenten der 1956er-Revolution. Aber auch über die anderen Ermordeten und Inhaftierten dieser Zeit muss geschwiegen werden.
Nicht die Niederlagen stehen im Jahr des Mauerbaus auf der Tagesordnung, sondern bescheidene bis große Siege. Der ungarischen Wirtschaft geht es erstaunlich gut und der Russe Juri Alexejewitsch Gagarin ist der erste Mensch im All.

Typologie einer nachrevolutionären Gesellschaft

Dass es noch die sprichwörtliche Kehrseite der Medaille gibt, spürt der jugendliche Lajos Ballagó instinktiv in diesem 2003 in Ungarn veröffentlichten Roman. Der Kortina Verlag hat ihn jetzt auf Deutsch herausgebracht, in seiner recht pathetisch betitelten Edition "Literaturwunderland Ungarn". In Ungarn verehrte, aber in Deutschland kaum bekannte Schriftsteller wie Géza Hegedüs oder Géza Ottlik findet man dort, ebenso junge Autoren wie Tamás Jónás. Ein mutiges Projekt, das nicht auf Altbewährtes setzt und eine große Bandbreite ungarischer Literatur präsentiert.

Leider ist die vorliegende Übersetzung von "Engelsfurz" nur bedingt gelungen. Clemens Prinz hat beispielsweise für ungarische regionale Akzente deutsche Entsprechungen gesucht. Oft fühlt man sich nach Bayern und nicht in die ungarische Provinz der 60er Jahre versetzt. Doch angesichts eines kleinen engagierten Verlags, der ungarische Autoren jenseits des Post-K.u.k.-Mainstreams veröffentlicht, ist über kleinere Mängel hinwegzusehen.
Kerékgyártós Roman als Wunder zu bezeichnen, wäre übertrieben. Zu wenig Menschen aus Fleisch und Blut finden sich im Text. Zu deutlich gibt er sich als Typologie einer nachrevolutionären Gesellschaft zu erkennen. Ebenso kann von einer Geschichte kaum die Rede sein. Dies ist durchaus Teil eines poetologischen Konzeptes. Denn in "Engelsfurz" wird ein Zustand der Erstarrung beschrieben, eine Gegenwart ohne Vergangenheit.

Sehen lernen

Ballagó ist ein intelligenter Beobachter, der aus einer kindlichen Perspektive langsam herauswächst, die Sichtweisen der Erwachsenen aber nicht ohne weiteres übernehmen möchte. So muss er lernen, in einer ideologiegeprägten Welt äußeren Beeinflussungen standzuhalten und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen.
Mit seinen Fotografien widersetzt Ballagó sich vorherrschenden Blickwinkeln. Der hässliche und im Ort allseits geschmähte Vendel wird auf diesen Fotos ein ganz anderer: "Die Augen, die früher einem Scheusal gehörten, scheinen jetzt die erschrockenen Augen eines Vögelchens zu sein", stellt Ballagó fest und vergleicht Vendels Gestalt mit "Jesus, wie er das Kreuz nach Golgatha schleppt".

Auch die kleinen Prosaminiaturen, die jedem Kapitel vorangestellt sind, ähneln Bildern aus einem Fotoalbum. Gewidmet sind sie der für das jeweilige Kapitel namensgebenden Farbe: "goldgelb waren die Kirschen am Baum hinten im Garten, wenn sie endlich reif waren; strohgelb waren die Köpfe der jungen Katzen" führt Kerékgyártó in das Kapitel "Gelb" ein. Mit dieser mémoire volontaire wird das Leben einer untergegangenen Welt wieder heraufbeschworen.

Zarte Pflanze der Liebe

Neben Schule und Freundschaft bestimmt die Liebe das Leben Heranwachsender. Bei Ballagó ist es nicht anders. Seine Angebetete heißt Gyöngyi. Nichts ist ihm wichtiger als ihre Hand zu halten. Ganz gleich, ob irgendein russischer Kosmonaut den Orbit verlässt. Keinesfalls dient die Liebe in diesem Roman dramaturgischen Zwecken. Sie gehört einfach dazu, wie so vieles andere auch. Denn sich zurückzuziehen, ist kaum möglich.
Sind es doch die zahlreichen karnevalesken Gestalten, die versuchen, auf Ballagó Einfluss zu nehmen. Onkel Gyula, der als übereifriger Parteisoldat die Familie tyrannisiert, versucht Ballagó zur Anhängerschaft zu bewegen. Ebenso der Großvater. Seit 30 Jahren ist er "Laienbruder vom Dritten Orden des Heiligen Franziskus".

Sein religiöses Erweckungserlebnis kann kaum als Gotteserfahrung bezeichnet werden, denn ein "Tritt in die Eier" hat ihn zum zweifelhaften Diener Gottes katapultiert. Doch auch der Großvater ist kein glaubwürdiger Gottesmann. Vielmehr kommt er als jemand daher, der die Religion nutzt, um sich der Verantwortung für seine Familie zu entziehen.
Zahlreiche Figuren suchen in "Engelsfurz" ihre Heimat in Ideologie und Religion. So ist es möglich, sich den verschiedenen Wahrheiten des 20. Jahrhunderts entgegenzustellen und Ruhe und Frieden zu finden. Doch weder der Großvater noch der Onkel, die vorrangig im Fokus stehen, können mit ihren Ansichten überzeugen. Sie sind eher Karikaturen als erfolgreiche Agitatoren. Das gilt auch für den Pfarrer Bartalos, der ein ausschweifendes Liebesleben führt und dieses durchaus durch Bibelexegese zu rechtfertigen weiß.

Anarchische Form der Pflichterfüllung

Den Sexualakt kann er als heilig umdeuten, denn "wenn der Koitus dem freien Willen beider entspringt, und sie sich in Wonne vereinen, werden sie auch eins mit Gott". Hier ist er also verborgen, der Moment der Freiheit. Emir Kusturica wäre der geeignete Regisseur für diese anarchische Form der Pflichterfüllung. Vor allem für die im Roman beschriebene 1. Mai-Parade. Rot sind an diesem Tag die fünfzackigen Sterne - außen aus Wurst und innen aus geräucherter Schweinshaxe. In der gleichen Farbe präsentieren sich die vom morgendlichen Schnaps gefärbten Gesichter.

Der jährliche Fortschritt Anfang der sechziger Jahre ist messbar: Wurde im Jahr zuvor Würfelzucker in die Menge geworfen, sind es inzwischen Kipferl. Dass es einen Moment der Freiheit gibt, liegt am ungarischen Sonderweg. Zuvor hatte der Staat noch mit voller Härte zugeschlagen, jetzt setzt man auf Deeskalation. Drei Ziele verfolgte der ungarische Ministerpräsident János Kádár zu dieser Zeit: die Modernisierung der Wirtschaft, die Steigerung des Lebensstandards und die Legitimation des Systems. "Wer nicht gegen uns ist, ist für uns", lautet sein berühmter Ausspruch von 1962, der auch im Roman Erwähnung findet.

Der Vater empfiehlt Ballagó, sich weder den Kommunisten noch der Kirche anzuschließen, sondern ein Gefühl für die goldene Mitte zu entwickeln. Sozialistischer Fortschrittsglaube ist schon zu Beginn der Ära Kádár kaum vorhanden. Auf den Rückzug ins Private hat man sich bereits eingestellt. Dem Staat, so stellt der Vater fest, ist es völlig egal, was sich zu Hause abspielt. Zwei Leben gilt es zu führen. Für einen jungen Menschen ist dies keine einfache Lektion. Ballagó lernt, genau hinzuschauen, sich nicht auf die Urteile anderer zu verlassen und schließlich nach eigenen Kriterien zu handeln.

Von Daniel Kruzel

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